Das Wort „Kultur“ wird bei Elias nicht verwendet. Dennoch beschreibt er zahlreiche Prozesse, die wir unter den Kulturbegriff fassen: Normen, Werte, Klassifikationen, Deutungsmuster, kollektive Erinnerungen.
Elias beschreibt in seinem Text das gesellschaftliche Phänomen der Etablierten-Außenseiter- Beziehung von Winston Parva und in diesem Zusammenhang kulturelle Prozesse wie Normen, Werte, Klassifikationen, Deutungsmuster und kollektive Erinnerungen, ohne dabei explizit den Begriff Kultur zu verwenden. Er beweißt, dass dieses Beziehungsschema sowohl in einer Gemeinde, also auf der Mikro-Ebene, wie auch auf der Nationalstaatlichen, der Makro-Ebene existent ist. Grundlegend für dieses Beziehungsschema ist, dass bestimmte kulturelle Prozesse stattfinden müssen, die ein solches System entstehen lassen und stabil halten.
Hierbei sorgen Normen und Werte dafür, dass eine derartige Beziehung zustande kommt. Eine Gruppe, die sich als etabliert definiert stellt Normen auf, die für diese Gruppe dann ver- bindlich wirken. Sie grenzt sich damit ein und andere damit aus. Es entsteht eine Gruppe, die sich als „WIR“ identifiziert und eine andere, die von der „WIR“ Gruppe als „SIE“ identifiziert wird. Die Etablierten bestimmen hierbei, wer „Insider“ und wer „Outsider“ ist.
Bedeutend ist, dass nur die Gruppe der Etablierten diese Einteilungen vornehmen und nur sie bestimmen über Normen und Werte. Kollektive Erinnerungen und Deutungsmuster sorgen für die Legitimation ihres Machtanspruchs. Am Beispiel Elias legitimierten die Bewohner einer kleinen englischen Gemeinde ihre Machtansprüche da hingehend, dass sie in dieser schon seit einigen Generationen lebten und die anderen nur Zugezogene sind. Daraufhin treten Klassifikationen auf, die in den meisten Fällen darauf hinaus laufen, dass sich die Gruppe der Etablierten als Menschen höheren Ranges ansehen.
Für das Verhältnis zwischen Kultur und Gesellschaft ergibt sich die Konsequenz, dass Kultur und die „Kulturbildung“ in Abhängigkeit von der jeweils in einer Gesellschaft vorherrschenden Etablierten – Außenseiter – Beziehung gerät. Diese Gruppe gibt durch die ausschließliche Legitimierung ihrer Normen und Werte vor, was Kultur ist, wer sie bilden darf und wie sie gelebt werden soll.
Auf nationalstaatlicher Ebene kann das so aussehen, dass die Etablierten die Macht haben über Normen und Werte zu bestimmen, die sie ihrerseits wiederum durch Klassifikationen und kollektive Erinnerungen legitimieren. Sie bestimmen somit die Kultur in ihrem Machtrefugium, indem sie dafür sorge tragen, in welcher Form diese von statten geht. Es kann sich daraus die Konsequenz ergeben, dass ehemalige, in diesem Machtrefugium existierende Kultur zerstört werden kann, da sie die Integrität der Etablierten gefährdet.
Ein gutes Beispiel aus der neueren Vergangenheit ist hier in der Taliban Regierung in Afghanistan zu finden. Sie übernahmen in diesem Land die Macht, stellten Normen und Werte auf, die für jedermann verbindlich wirken sollten und legitimierten diese durch kollektive Erinnerungen und Klassifikationen, die für sie universelle Gültigkeit hatten.
Im Zuge dessen musste sich die entstandene Außenseitergruppe fügen. Auf die Kultur hatte dies die Auswirkungen, dass die Taliban Regierung Jahrtausende alte Kulturschätze, wie eine riesige in Fels gehauene Buddhastatue zerstörten (um Ihren Machtanspruch zu festigen). Auf der Mikro-Ebene, in Form einer Gemeinde wie sie auch Elias beschreibt, bedeutet dies dann, dass der Gruppe der Außenseiter jeglicher Zugang zu Kultur oder zu Kulturbildung verwehrt wird.
Nur die jeweils etablierte Gruppe bildet Kultur und Kulturwerte in Form von Normen, Werten und Klassifikationen aus. Auch im Falle einer Revolution passiert nichts weiteres, als das sich die Etablierten – Außenseiter – Beziehung verschiebt. Die Außenseiten werden hierbei im besten Falle die Etablierten und anders herum. Sie bilden nach der Umstellung dieselben Merkmale einer solchen Beziehung aus. Kultur wird bestimmt und bildet, auf der Makro-Ebene, wie auch auf der Mikro-Ebene nur die Gruppe der Etablierten aus.
Für das Verhältnis zwischen Kultur und Gesellschaft hat dies die Konsequenz, dass die Kultur in Abhängigkeit von der Gesellschaft gerät. Die Gesellschaft in Form der Etablierten bestimmt die Regeln und schafft ihre, den Normen und Werten angepasste Kultur. In einer sehr stark ausgeprägten Etablierten-Außenseiter-Beziehung ist folglich nur die Kultur- anschauung von Bedeutung, die von der Etabliertengruppe legitimiert wurde. Kultur wird in Folge dessen nur sehr einseitig geprägt und kann sich in den schlimmsten Fällen als kontra kulturell erweisen.[4] Folglich bildet sich die Kultur aus dem, was die Gesellschaft erzeugt. Sie ist daher abhängig von der Etabliertengruppe und von dem, was diese als erschaffenswert befindet, was ebenfalls die Zerstörung von Kultur beinhalten kann.
In den besten Fällen bildet sich allenfalls eine Kultur aus, die nur durch Zwang legitimiert wird und nicht für jeden zugänglich ist. Welche Art von Kultur und in welcher Weise sie gebildet wird, hängt dem zu Folge im großen Maße damit zusammen, wie viel Macht die jeweilige etablierte Gruppe in der Gesellschaft besitzt.