Gehen Hollywood die Ideen aus? Den Eindruck könnte man bekommen, schaut man sich die vergangenen Kinojahre an. Das hat zahlreiche Remakes wie Conan, Fright Night, Footloose, Arthur, Die drei Musketiere und The Mechanic hervorgebracht, die bekannte Filmklassiker mal mehr und mal weniger abweichend vom Original modern in Szene setzten – frei nach dem Motto „Aus alt mach‘ neu.“ So einsichtig es auch sein mag, bekannte, aber in die Jahre gekommene Streifen für das moderne Kino zu adaptieren, ein Kassenhit wurde keine der Neuverfilmungen, was oft, aber nicht immer an deren Qualität lag.
Neben dieser Wiederverwertungswut alter Stoffe grassiert im US-Kino seit Jahren noch eine ganz andere Krankheit, nämlich die, europäische Erfolgsfilme für den eigenen Markt noch einmal mit eigenen Darstellern nachzudrehen. Gutes Beispiel ist Verblendung. Den Beststeller des schwedischen Autors Stieg Larsson gab es bereits 2009 als Produktion des Schwedischen Fernsehens in Zusammenarbeit mit ZDF Enterprises. Die Hauptrollen des Journalisten Mikael Blomkvist und der Hackerin Lisbeth Salander, die gemeinsam einen Frauenmord aufklären, übernahmen die schwedischen Schauspieler Mikael Nyqvist und Noomi Rapace.
Wegen des ernormen Kritiker- und Publikumserfolges von Buch und Film nahm sich die Traumfabrik des Stoffes an und verfilmte ihn erneut für den amerikanischen Markt, nur dieses Mal mit bekannteren Schauspielern wie Daniel Craig, Rooney Mara, Christopher Plummer und Robin Wright. Im Gegensatz zu vielen anderen Remakes, die im Vergleich zum Original meist verlieren, überschlagen sich US-Kritiker beim Schwedenkrimi made in Hollywood geradezu mit Lob. Verfilmt hat ihn schließlich auch kein geringerer als Starregisseur David Fincher (Fight Club, Panic Room, The Social Network).
Die Ausrede mit den Untertiteln
Dennoch fragt man sich, ob es wirklich nötig ist, bereits in anderen Ländern erfolgreiche Filme noch einmal auf eigene Bedürfnisse zurechtzubiegen, und warum nicht einfach auf die europäische Version vertraut wird. Gerade wenn Original und Remake wie bei Verblendung zeitlich so nah beieinander liegen und die Parallelen so frappierend erscheinen. Beide hangeln sich dicht an der Handlung der Buchvorlage entlang, inszenieren sie als düsteren Thriller, der auch die expliziten Gewaltszenen des Romans nicht ausspart. Zudem wurden sie beide in Schweden gedreht, der Look ist daher ähnlich, auch wenn das Remake etwas moderner wirkt.
Bei den Schauspielern stechen ebenfalls die Ähnlichkeiten ins Auge: Nyqvist und Craig sind nordische Typen, etwas kantig, ein bisschen geheimnisvoll. Rapace und Mara haben sich für den Film auf das Image einer harten Punkerin getrimmt – echte Piercings und sehnige Figur inklusive. Auch wenn die 2012-Ausgabe diese Eigenschaften zu duplizieren versucht, Mara mit ihren gebleichten Augenbrauen als Lisbeth noch androgyner aussehen lässt und deren Beziehung zu Blomkvist stärker betont – rechtfertigt das den Aufwand einer Neuverfilmung?
Die Argumente der amerikanischen Filmindustrie dafür sind schnell zusammengefasst: Die Schauspieler der Originale seien im eigenen Land zu unbekannt, die Filmästhetik und Sehgewohnheiten seien andere. Das europäische Pendant wird daher oft gar nicht gezeigt. Anders bei Verblendung: In den USA lief der schwedische Film mit Untertiteln in den Kinos. Dementsprechend begrenzt war das Interesse. Denn mal ehrlich: Wer will schon einen betexteten Thriller sehen? So ist Hollywood fein raus, wenn es seinen Remake-Wahn damit gegründet, dem Publikum keine schlechten Synchron- oder Untertitelfassungen zumuten zu wollen.
Dabei müssen die gar nicht schlecht sein. So wurde Tom Tykwers Lola rennt mit Franka Potente und Moritz Bleibtreu nicht nur hierzulande zum Megaerfolg. Auch in den USA lockte er zahlreiche Zuschauer in die Kinos und kam – ganz ohne Remake – auf knapp sieben Millionen Dollar Umsatz. Tykwer hatte sich stets einer US-Adaption verwehrt und öffnete so dem deutschen Film und Schauspielerin Potente die Tür nach Hollywood. Der Regisseur gewann mit Run Lola Run auf dem Sundance Film Festival 1999 sogar die Trophäe für den besten ausländischen Film.
Sequels, 3D-Versionen und Remakes statt eigene Ideen
Dennoch wird aufgewärmte Kost bei Filmstudios offenbar bevorzugt. Ziel des Ganzen ist kommerzieller Erfolg mit möglichst wenig Risiko. Was in Europa oder in früheren Tagen schon einmal funktionierte, kann ja schließlich auf dem heutigen US-Markt nicht verkehrt sein, schon gar nicht mit einer hochkarätigen Besetzung als Zugpferd. Längst nicht bei allen Remakes geht dieses Rechnung auf. Vanilla Sky etwa, ein Remake des spanischen Originals Abre Los Ojos mit Penélope Cruz, die auch im Nachfolger die Hauptrolle übernahm, spielte in den USA zwar über 100 Millionen Dollar ein, begeisterte Kritiker aber nur mäßig. Cruz erhielt den Schmähpreis Die Goldene Himbeere.
Letzteres Schicksal dürfte die Darsteller von Finchers Verblendung nicht ereilen. Ob der Film aber gleichsam erfolgreich wird, bleibt abzuwarten. In Amerika spielte er seit Weihnachten mit 60 Millionen Dollar zumindest schon mal zwei Drittel seines Produktionsbudgets ein. Besser zu sein als das filmische Original dürfte schwer werden – nicht nur, weil das ohnehin immer im Vorteil ist. Schließlich war es früher da und muss sich nicht messen lassen, sondern ist selbst der Gradmesser.
Ein gutes Remake ist mehr als dessen bloße Kopie mit anderen Schauplätzen und Darstellern. Es sollte vielmehr eine Hommage an den Ausgangsfilm sein, dessen Grundidee es beibehält, aber zu etwas Eigenem weiterentwickelt. Verblendung nimmt insofern – auch wenn der Abstand zum Original von nur zwei Jahren eigentlich keine Adaption rechtfertigt – eine Zwischenposition ein. Das ist lobenswert, ist es doch mehr als sich die Mehrheit der Remakes im US-Kino oft traut. Dieses scheint derzeit vor allem auf das Sequel vom Sequel vom Sequel zu setzen, das sich nicht selten als Abklatsch des Erstfilms herausstellt, sowie 3D-Versionen vergangener Kassenschlager wie König der Löwen, Titanic oder Star Wars.
Der Rest wird eben mit Remakes aufgefüllt, für gute originäre Ideen bleibt da wenig Platz. Die haben andere, wie zum Beispiel Eric Toledano und Olivier Nakache. Das französische Regisseurduo hat mit der Komödie Ziemlich beste Freunde über die Freundschaft eines schwarzen Sozialhilfeempfängers und eines steinreichen Schwerbehinderten in ihrem Heimatland einen Überraschungserfolg gelandet. Und raten Sie mal: Ein amerikanisches Filmstudio hat sich bereits die Rechte zur Neuverfilmung gesichert.