Chinatown Berlin – Wir sind in Byron Bay auf einer Farm – 500ha – zu Besuch bei einer ehemaligen Kollegin von mir. Das Haus ist riesig. Eine Familie aus Melbourne hat die Farm gekauft und meine Kollegin und Ihr Mann wohnen dort zur Miete.

Wir sind zu sechst an diesem Abend (plus unsere Tochter). Am runden Tisch gesellen sich eine Neuseeländerin, die 10 Jahre in Sydney gelebt hat und jetzt in Melbourne zu Hause ist; ein Franzose, der in Melbourne lebt und im Oktober nach Berlin ziehen will (zusammen mit der Neuseeländerin), um dort sein Glück zu finden; ein Amerikaner (aus Maine), der in Neuseeland, Fiji und Südkorea gelebt hat und jetzt in Byron Bay zu Hause ist (der Mann meiner ehemaligen Kollegin); und meine ehemalige Kollegin, eine Perserin die in Offenbach groß geworden ist, in Frankfurt und Berlin lebte, nach Melbourne zog und jetzt auf dieser Farm in Byron Bay wohnt. Im Oktober wollen die beiden übrigens nach Alice Springs ziehen – besser gesagt in die Nähe, was in Australien ca. 200 km Entfernung bedeutet.

Und dann sind da wir – zwei Berliner – „Born, raised and living there“ nahezu unser ganzes Leben. Die Exoten sind wir!

Wir sprechen viel über Sprache – 4 von 6 Personen am Tisch sprechen mehr als zwei Sprachen, über Essen und über unsere Erfahrungen im Ausland – über kulturellen Kram halt. Da der Franzose in unsere Hauptstadt ziehen möchte, ist Berlin natürlich ein Thema.

Wir vergleichen Berlin mit anderen Städten auf der Welt und irgendwann am Abend wird uns klar: Berlin hat kein Chinatown. Sogar Shanghai hat ein Chinatown (wurde mir zumindest mal gesagt…). Jede coole Stadt auf der Welt hat ein Chinatown, nur Berlin nicht – so scheint es.

Die Fragen nach dem Warum verlaufen an diesem Abend ergebnislos und wir wechseln bald das Thema.

Chinatown Berlin: Warum hat Berlin kein Chinatown?

An diesen besagten Abend kamen wir zu keiner Lösung. Heute, nach reichlicher Überlegung, fallen mir einige Gründe ein, warum Berlin kein Chinatown hat.

Wichtigster Grund – Berlin hat keine chinesischen Imigranten – jedenfalls nicht sehr viele. Warum eigentlich nicht? Egal erstmal, aber auch durchaus spannend.

Das Thema warum hat Berlin kein Chinatown könnte hiermit ja eigentlich schon geklärt sein – ich möchte aber noch auf etwas anderes hinaus – warum hat Berlin kein subkulturelles Ballungszentrum dieser Art? Man könnte sich z.B. ein “Little Russia”, ein “Little Istanbul” und auch ein “Little Hanoi” theoretisch sehr gut vorstellen (Chinatown Berlin ja somit dann eigentlich auch…).

Alle Voraussetzungen sind gegeben – ein „fremder Kulturkreis“ kommt auf engem Raum zusammen und lebt seine Kultur im Stadtbild aus. In Berlin und in Deutschland (ich würde das sogar auf ganz Europa ausdehnen) würde nur niemand auf die Idee kommen, ein urbanes Phänomen wie Chinatown auch wirklich so zu benennen. In Deutschland sprechen viele eher von “Ghettoisierung” und/oder “Parallelgesellschaften”, was negativ determinierte Begriffe für das gleiche Phänomen sind. Ohne das weiter erörtern zu wollen, lässt sich diese Debatte in Deutschland mit dem Thema “Leitkultur” zusammenfassen.

Wie dem aus sei, die initiale Frage “Warum hat Berlin kein Chinatown” müsste noch mal konkretisiert werden, zu “Warum nutzt Europa das subkulturelle Konzept Chinatown nicht?”. Warum gibt es in Städten wie London, Paris und Berlin Bezirke, die diesem urbanen Phänomen sehr nahe kommen, allerdings eher als Parallelgesellschaften wahrgenommen werden, die nicht Kultur stiftend wirken sondern in öffentlichen Debatten zumindest als nicht Kultur fördernd beschrieben werden?

Aktuell ist leider noch nichts gewonnen, eher sind mehr Fragen hinzugekommen – vielleicht hilft ein konkretes Beispiel:

Im Nord-Osten von Berlin gibt es ein Gebiet, dass einem Chinatown noch am nächsten kommt bzw. eigentlich Chinatown Berlin genannt werden könnte. Viele Vietnamesen kamen vor rund 40 Jahren in die damalige DDR und haben sich vor allem in Berlin-Lichtenberg angesiedelt. Sie kamen als Arbeitskräfte und gestallten heute mit Ihrer Kultur das Gebiet um die Herzbergstrasse fernöstlich. Das Zentrum bildet das “Dong Xuan Center”, in dem man mitunter bessere vietnamesische Suppen essen kann als in Hanoi und ich weiss wovon ich rede (Reisebericht von Hanoi nach Saigon).

Auch die Presse fehlt nicht, lokale Zeitungen berichten äußerst positiv über „Klein-Vietnam in Lichtenberg” (http://www.visitberlin.de/de/feature/lichtenberg-0 undhttp://www.neues-deutschland.de/artikel/234060.klein-vietnam-in-lichtenberg.html) und die Webseite vom Dong Xuan Center ist moderner als manch eine Firmen Webseite eines großen Unternehmens (http://www.dongxuan-berlin.de/de/).

Ein Schild aufstellen auf dem steht, „Klein Vietnam“ oder „Little Hanoi“ würde dann aber trotzdem keiner machen. Warum eigentlich nicht?

Für einen guten Freund von mir – Stadtplaner von Beruf – war diese Frage sehr einfach zu beantworten: In Deutschland „will man sowas nicht” und er meint damit “Parallelgesellschaften” und “Ghettoisierung”. In Deutschland geht es um Integration in eine bestehende Leitkultur. Eine „Vermischung im Stadtbild“, was unter dem BuzzWord „Multi-Kulti“ läuft ist der Konsens der gesellschaftlich noch akzeptiert wird.

„Chinatown Berlin“ würde also nicht funktionieren?

In der Realität gibt es diese Vermischung nicht – zumindest nicht in Berlin. In vielen Einwanderungswellen sind Immigranten nach Berlin gekommen und haben sich in der Regel gemeinsam in Stadtbezirken niedergelassen. Viele dieser Bezirke waren und sind in öffentlichen Debatten oft „Problembezirke“.

Ich persönlich glaube nicht daran, dass Gebiete wie „Klein Vietnam“ Problembezirke sind, weil ein „nichtheimischer“ Kulturkreis dort zusammenkommt. Viel mehr „ballen“ sich meist „nicht heimische“ Kulturkreise sowieso erst einmal dort, wo das Leben erschwinglich ist, was immer auch preiswerte Mieten bedeutet. „Sozial schwierig“ sind Gebiete wie diese meistens schon, bevor Migranten hinzukommen.

In vielen Ländern der Welt, wo offen mit diesem urbanen Phänomen umgegangen wird oder besser gesagt offiziell, ist eher das Gegenteil passiert. „Sozial schwierige“ Bezirke haben sich nicht nur zu Touristen Magneten entwickelt, sondern auch das ganze Gefüge der jeweiligen Gebiete positiv beeinflusst und nachhaltig verändert. Beispiele hierfür sind Chinatown in Singapur, New York City, Sydney, Melbourne und Malacca (Malaysia).

Für Berlin ist „Klein Vietnam“ ein gutes Beispiel für eine positive Entwicklung eines Stadtbezirks. Es ist erstaunlich, dass in dem Gebiet wo einmal (vor gar nicht so langer Zeit) die NPD Deutschland Zentrale (glaube ich jedenfalls) saß, jetzt ein „Klein Vietnam“ das Bild des Bezirks positiv prägt.

Ein neues “Flair” ist in Lichtenberg eingezogen und hat das Image vom (Ost) Berliner Stadtbezirk verändert. Lichtenberg ist schick(er) geworden – multikultureller sagt man. Man könnte also doch von sogenannten Parallelgesellschaften sprechen, die sich Kultur stiftend auswirken? Verrückt!

Trotzdem stellt keiner ein Schild hin, auf dem steht, „Little Hanoi“ oder „Chinatown“. Würde das in Deutschland zu weit gehen, oder mache ich es zu meiner Aufgabe dieses „Projekt“ zu übernehmen?

Schokolade aus Byron Bay
Schokolade aus Byron Bay

Über den Autor

Die Welt ist mein zu Hause - hätte ich jedenfalls gern. Mein Lebensmittelpunkt ist in Berlin und das schon mein ganz Leben lang. Auf Reisen fühle mich am Ehesten zu Hause.

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1 Kommentar

  1. Berlin hat natürlich ein „Klein-Istanbul“ (Kreuzberg ist meines Wissens nach Istanbul die Stadt mit den meisten aus der Türkei stammenden (nicht nur Türken) Einwohnern). Prenzlauer Berg war zu seiner Entstehungszeit auch mal ein typischer Einwanderungsbezirk (und ist es wieder, nur sieht man das nicht so). In Deutschland herrscht eher das Bild von der Integration und Mischung als von der Bildung von kulturellen Ballungsräumen vor. Fremdes wird wohl eher als bedrohlich denn als bereichernd wahrgenommen. Aber die Frage bleibt: warum ist das so? Wo doch jeder bei einem Besuch in New York begeistert durch China Town wandert.

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